Kein grundsätzliches Verbot der Tierhaltung in Mietwohnung
Eine Allgemeine Geschäftsbedingung in einem Mietvertrag über Wohnräume, die den Mieter verpflichtet, „keine Hunde und Katzen zu halten“ ist wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters unwirksam.
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. März 2013 – VIII ZR 168/12)
Aus den Urteilsgründen der Berufung:
…
Das Beseitigungs- und Unterlassungsverlangen der Klägerin lasse sich nicht auf § 16 Satz 1 des Mietvertrags stützen. Bei der dort geregelten Verpflichtung des Mieters zur Unterlassung einer Hunde- und Katzenhaltung handele es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, denn die Klägerin verwende diese Klausel seit einigen Jahren regelmäßig. Die Klausel sei nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren sei. Nach dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 535 Abs.1 BGB) hänge die (Un-)Zulässigkeit einer Tierhaltung von einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen im Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte ab.
Ein grundsätzliches Verbot der Tierhaltung sei mit diesem Grundgedanken nur hinsichtlich solcher Tiere zu vereinbaren, deren Haltung – abgesehen von höchst theoretischen Ausnahmefällen – aus vernünftigen Gründen untersagt werden könne. Bei Hunden sei eine solche generell und eindeutig für ein Haltungsverbot sprechende Interessenlage nicht festzustellen. Dass die Haltung von Hunden nicht ausnahmslos mit der Beeinträchtigung von Interessen des Vermieters oder anderer Hausbewohner verbunden sei, zeige das Beispiel des vom Beklagten gehaltenen Hundes, bei dem die Klägerin keine individuell störenden Verhaltensweisen gerügt habe. Demgegenüber seien Fälle eines gewichtigen Mieterinteresses an der Hundehaltung vorstellbar, etwa bei auf Blindenhunde angewiesenen Mietern oder alten oder kranken Hundehaltern, die ein schon seit längerer Zeit gehaltenes, ihnen vertrautes Tier bei einem Wohnungswechsel nicht ohne die Gefahr einer Dekompensation abschaffen könnten.
…
Aus den Urteilsgründen der Revision:
…
1. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, kann die Klägerin ihr Beseitigungs- und Unterlassungsverlangen nicht auf das in § 16 Satz 1 des Mietvertrags geregelte Verbot der Hunde- und Katzenhaltung stützen. Bei dieser Klausel handelt es sich nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 BGB. Die darin ausgesprochene generelle Untersagung der Haltung von Hunden und Katzen hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand. Sie benachteiligt den Beklagten unangemessen, weil sie ihm eine Hunde- und Katzenhaltung in jeder nur denkbaren Fallkonstellation versagt und damit zugleich gegen den wesentlichen Grundgedanken der Gebrauchsgewährungspflicht des Vermieters (§ 535 Abs. 1 BGB) verstößt.
…
aa) Eine unangemessene Benachteiligung des Beklagten im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt schon darin begründet, dass auch evident berechtigte Belange des Mieters an einer entsprechenden Tierhaltung in vollem Umfang ausgeblendet werden. Dem Mieter ist die Haltung von Hunden (und Katzen) selbst in besonderen Härtefällen (etwa bei einem Angewiesensein auf einen Blinden-, Behindertenbegleit- oder Therapiehund) untersagt. Weiter ergibt sich eine unangemessene Benachteiligung des Mieters auch daraus, dass das Hunde- und Katzenhaltungsverbot uneingeschränkt sogar in den Fällen gilt, in denen auf Seiten des Vermieters kein berechtigtes Interesse an einem solchen Verbot erkennbar ist, etwa weil von den gehaltenen Tieren keine Beeinträchtigungen der Mietsache und keine Störungen anderer Hausbewohner oder sonstiger Nachbarn ausgehen.
bb) Das in § 16 Satz 1 des Mietvertrags ausgesprochene Verbot der Hunde- und Katzenhaltung benachteiligt den Beklagten auch deswegen unangemessen, weil es – wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat – dem wesentlichen Grundgedanken der Gebrauchsgewährungspflicht des Vermieters nach § 535 Abs. 1 BGB widerspricht (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Ob eine Tierhaltung zum vertragsgemäßen Gebrauch im Sinne von § 535 Abs.1 BGB gehört, erfordert eine umfassende Abwägung der Interessen des Vermieters und des Mieters sowie der weiteren Beteiligten. Diese Abwägung lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall vornehmen, weil die dabei zu berücksichtigenden Umstände so individuell und vielgestaltig sind, dass sich jede schematische Lösung verbietet. Zu berücksichtigen sind insbesondere Art, Größe, Verhalten und Anzahl der Tiere, Art, Größe, Zustand und Lage der Wohnung und des Hauses, in dem sich die Wohnung befindet, Anzahl, persönliche Verhältnisse, namentlich Alter, und berechtigte Interessen der Mitbewohner und Nachbarn, Anzahl und Art anderer Tiere im Haus, bisherige Handhabung durch den Vermieter sowie besondere Bedürfnisse des Mieters (Senatsurteil vom 14. November 2007 – VIII ZR 340/06, aaO Rn. 19). Die Klausel in § 16 Abs. 1 des Mietvertrags schließt dagegen losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls eine Hunde- und Katzenhaltung abstrakt und generell aus. Sie verbietet damit eine solche Tierhaltung auch in den Fällen, in denen eine am Maßstab des § 535 Abs. 1 BGB ausgerichtete Interessenabwägung (eindeutig) zugunsten des Mieters ausfallen würde.
…
dd) Die Unwirksamkeit der Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB hat – anders als die Revision meint – nicht zur Folge, dass jedermann ohne Rücksicht auf die Belange von Vermieter und Nachbarn Hunde oder Katzen halten könnte. Die Revision übersieht, dass beim Fehlen einer wirksamen mietvertraglichen Regelung die Zulässigkeit einer solchen Tierhaltung gemäß § 535 Abs. 1 BGB von dem Ergebnis einer umfassenden Abwägung der jeweiligen Einzelfallumstände abhängt (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2007 – VIII ZR 340/06, aaO).
…
2. Folge der Unwirksamkeit des formularmäßigen Ausschlusses der Hunde- und Katzenhaltung, ist – wie oben unter II 1 b cc ausgeführt – die in Anwendung der gesetzlichen Regelung (§ 535 Abs. 1 BGB) gebotene umfassende Abwägung der im Einzelfall konkret betroffenen Belange und Interessen der Mietvertragsparteien und anderer Hausbewohner und Nachbarn.
…
Es trifft zwar zu, dass die Zulässigkeit der Hunde- und Katzenhaltung in Anbetracht der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Formularklausel von einer an den Umständen des Einzelfalls ausgerichteten Interessenabwägung abhängt, deren rechtliche Grundlage allerdings nicht in § 241 Abs. 2 BGB, sondern in der mietrechtlichen Regelung des § 535 Abs. 1 BGB zu suchen ist (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2007 – VIII ZR 340/06, aaO). Die gebotene Interessenabwägung ist jedoch nicht nur im Rahmen einer vom Mieter angestrengten Klage auf Zustimmung zur Tierhaltung, sondern auch bei einer vom Vermieter erhobenen Beseitigungs- und Unterlassungsklage vorzunehmen.
…
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. März 2013 – VIII ZR 168/12
Vorinstanzen:
AG Gelsenkirchen-Buer, Entscheidung vom 16.11.2011 – 28 C 374/11 –
LG Essen, Entscheidung vom 15.05.2012 – 15 S 341/11 –