Pflichtverletzung bei Unfall im Reitunterricht abhängig vom Einzelfall
Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kann sich bei einem Reitunfall aus der Art der Übung, dem Alter und der Erfahrenheit von Reitschüler und Pferd, aus den konkreten Umständen des Einzelfalls, aus Warnzeichen in der konkreten Situation sowie aus einem falschen Eingriff des Reitlehrers oder unterlassenen Ma߬nahmen ergeben.
Eine spezielle Ausbildung der beim Reitunterricht eingesetzten Hilfsperson bedarf es nicht. Grundsätzlich reicht für die zu organisierende Beaufsichtigung des Reitunterrichts der Einsatz einer pferdeerfahrenen und auch noch jugendlichen Aufsichtsperson aus.
Der Geschädigte muss darlegen und beweisen, dass der Reitlehrer zur sachgerechten Durchführung der Reitstunde nicht in der Lage war und deshalb den Geschäftsherrn ein Organisationsverschulden im Sinne eines Auswahlverschuldens trifft.
Ein dem Reitlehrer bei der Ausführung der Reitstunde/Reitübung vorzuwerfendes Fehlverhalten muss sich der Geschäftsherr nach § 278 S. 1 BGB zurechnen lassen. Der Reitlehrer ist auch mit der Erfüllung allgemeiner Sorgfaltsanforderungen betraut.
(Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 11.01.2013, 12 U 130/12)
Aus den Urteilsgründen der Berufung:
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Auch eine Gefährdungshaftung der Beklagten gemäß § 833 S. 1 BGB ist nicht gegeben. Die nach dieser Vorschrift
vorgesehene Schadensverantwortlichkeit des Tierhalters setzt voraus, dass sich in der eingetretenen Rechtsgutverletzung eine spezifische Tiergefahr verwirklicht hat, die sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten äußert (vgl. OLGR Hamm 2001, 259, juris Tz. 22, m.w.N.; MüKo/Wagner, BGB, 5. Aufl. 2009, § 833, Rdnr. 9).
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Eine Gefahrenlage, die mit der naheliegenden Möglichkeit einer Schädigung anderer verbunden ist, ist bei der Durchführung von Reitunterricht mit Reitübungen gegeben. Die Beklagte hat dadurch, dass sie Reitunterricht für Kinder anbietet und durchführt, für Körper und Gesundheit der teilnehmenden Kinder in ihrem Verantwortungsbereich eine insbesondere von Pferden ausgehende Gefahrenquelle geschaffen (vgl. OLG Celle VersR 1996, 1511).
Die Verletzung der daraus folgenden Verkehrssicherungspflicht kann sich bei einem Reitunfall aus der Art der Übung, dem Alter und der Erfahrenheit von Reitschüler und Pferd, aus den konkreten Umständen des Einzelfalls, aus Warnzeichen in der konkreten Situation sowie aus einem falschen Eingriff des Reitlehrers oder unterlassenen Maßnahmen ergeben (vgl. OLGR Hamm 2002, 407, juris Tz. 22).
bb. Dass die Beklagte nicht über die für eine sachgerechte Organisation des Reitunterrichts erforderliche Qualifikation verfügt, lässt sich nicht erkennen. Eine spezielle Ausbildung ist jedenfalls im Zusammenhang mit der zu gewährleistenden Verkehrssicherung nicht erforderlich. So reicht für die zu organisierende Beaufsichtigung des Reitunterrichts der Einsatz einer pferdeerfahrenen und auch noch jugendlichen Aufsichtsperson regelmäßig aus (vgl. OLG Celle VersR 1996, 1511).
cc. Die Auswahl der mit dem Reitunterricht betrauten Aufsichtsperson ist vorliegend nicht zu beanstanden. Die für die Reitstunde hinzugezogene Zeugin L war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowohl nach Alter und eigenen Kenntnissen und Fähigkeiten im Umgang mit Pferden als auch nach ihrer Erfahrung mit Reitstunden für kleinere Kinder zur sachgerechten Durchführung der Reitstunde in der Lage. Nach ihren Angaben war sie 20 Jahre alt und seit ihrem achten Lebensjahr selbst Reiterin. Sie hat eine Reitausbildung und darüber hinaus ein einjähriges Berufspraktikum in einer Kindertagesstätte absolviert. In der Reitschule der Beklagten hat sie seit mehreren Jahren Reitunterricht für Kinder gegeben.
dd. Die Beklagte war auch nicht ohne weiteres gehalten, vor dem Reitunterricht mit Kindern generell deren Gesundheits- und Entwicklungsstand aufzuklären. Konkrete Anhaltspunkte, die zu einer solchen Aufklärung Anlass geben mussten, lagen nicht vor. Überdies ist nicht ersichtlich, dass sich eine unterbliebene Aufklärung auf das konkrete Unfallgeschehen ausgewirkt haben könnte. Denn es ist nicht davon auszugehen und von der Klägerin auch nicht behauptet worden, dass sie körperlich oder psychisch zur Teilnahme am Reitunterricht außerstande war.
ee. Die Gruppengröße – mit der Klägerin insgesamt sechs Kinder – steht zwar im Widerspruch zu den Internetangaben der Beklagten. Danach soll der Reitunterricht für Kinder ab fünf bis sieben Jahre in kleinen Gruppen bis drei Kinder durchgeführt werden. Dass das Überschreiten der Gruppengröße zu einer Gefahrenerhöhung geführt hat, die sich hier im Unfallgeschehen verwirklich hat, ist jedoch nicht erkennbar. Die Reitstunde ist mit nur einem Pony durchgeführt worden, so dass die Betreuungsperson jeweils nur ein Kind bei der Reitübung zu überwachen hatte.
ff. Die Dauer des Reitunterrichts begegnet keinen Bedenken. Auch ist nicht ersichtlich, dass ein Reitunterricht mit Kindern in der Zeit bis 17.00 Uhr mit einer vermeidbaren Gefahrenerhöhung verbunden sein könnte. Es lässt sich nicht annehmen, dass etwa wegen möglicher Erschöpfung der Kinder generell ein Reitunterricht zu dieser Tageszeit unterbleiben muss. Dass das Pony zu der Zeit erschöpft und gereizt war, es deshalb nicht mehr für den Reitunterricht geeignet war, steht nicht fest. Ein Fehlverhalten des Tieres hat sich in dem Unfallgeschehen auch nicht verwirklicht.
gg. Die durchgeführte Reitübung, auf Kommando in die Hände zu klatschen, ist als solche nicht generell sachwidrig. Vielmehr handelt es sich nach dem Vorbringen der Beklagten um eine übliche Gleichgewichtsübung. Das stellt die Klägerin im Grundsatz auch nicht in Abrede. Ob die Übung auch mit einem für kleinere Kinder geeigneten Reitsattel hätte durchgeführt werden können, kann dahingestellt bleiben. Denn es war eine geeignete Pferdedecke mit Haltegriff aufgelegt.
hh. Schließlich lässt sich aufgrund der besonderen Umstände, namentlich der vorgesehenen Reitübung im Stand des Pferdes bei vorhandenem Haltegriff und kurzer Longe, ein Organisationsverschulden der Beklagten nicht schon in der Durchführung des Reitunterrichts im Freien annehmen. Es ist nicht generell ein für den Reitunterricht vorbereiteter weicher Untergrund zu verlangen, wenn sich nicht aus den Umständen des Einzelfalls etwas anderes ergibt. Im vorliegenden Fall lässt sich nicht erkennen, dass das Reitgelände für den Unterricht und die Reitübung ungeeignet war.
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Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 11.01.2013, 12 U 130/12
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 4 O 279/11