16 Mai 2013

Keine Tierhalterhaftung bei Verletzung durch Paarungsakt

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Die Unberechenbarkeit ist eine typische Eigenart von Tieren und das Austreten gehört gerade zum natürlichen Verhalten der Pferde während der Paarung. Deswgen durfte die Klägerin nicht darauf vertrauen, dass die Stute in der konkreten Situation nicht austreten werde.

OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 16.05.2013 – AZ. 3 U 1486 /12

Der zu entscheidende Sachverhalt:

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 26.035,16 Euro sowie auf Erstattung außergerichtlicher Kosten in Anspruch, weil ihr Vollblutaraberhengst El Sareei Namib im Rahmen des von den Parteien organisierten Deckaktes von der Stute der Beklagten getreten und aufgrund der hierdurch erlittenen Verletzungen eingeschläfert werden musste.

Der Deckakt fand auf der Wiese vor den Koppeln in der Nähe des Stalls des Hengstes statt, nachdem den Pferden Gelegenheit gegeben worden war, sich zu beschnuppern. Die Klägerin führte den Hengst am Zaumzeug und am langen Zügel. Die Beklagte hielt die Stute am Halfter mit einem langen Strick. Sie hatte der Klägerin zuvor mitgeteilt, dass die Stute beim Decken bisher immer sehr friedlich gewesen sei, weshalb die Parteien einvernehmlich auf Sicherungsmaßnahmen verzichtet hatten. Während des Deckaktes zeigte sich die Stute plötzlich ablehnend und trat, nachdem der Hengst mit den Vorderbeinen wieder auf der Erde gelandet war, nach hinten aus. Sie traf den rechten Unterarm des Hengstes zwischen Kapitalgelenk und Ellenbogen. Der hierdurch verursachte Trümmerbruch des Radius war nicht behandelbar, der Hengst musste eingeschläfert werden.

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten ihren Schaden ersetzt verlangen kann.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, in Betracht komme alleine ein Anspruch aus Haftung des Tierhalters gem. § 833 Satz 1 BGB. Die Vorschrift sei entgegen der Auffassung der Beklagten anwendbar, auch wenn der Deckakt unter der Leitung der Parteien gestanden habe, da die Tiergefahr der Stute jedenfalls bezüglich des Trittes dadurch nicht ausgeschlossen worden sei. Der Anspruch sei jedoch in entsprechender Anwendung des § 254 BGB „auf null zu kürzen“. Denn die Klägerin habe sich die Tiergefahr ihres eigenen Pferdes anrechnen zu lassen. Diese liege darin, dass die Durchführung des Deckaktes die Stute zu abwehrenden Reaktionen veranlassen könne. Darüber hinaus sei ein Mitverschulden der Klägerin anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Dieses wiege so schwer, dass ein vollständiger Haftungsausschluss der Beklagten angezeigt sei. Die Klägerin habe in Kenntnis des nach ihren eigenen Angaben hohen Wertes ihres Pferdes keine Maßnahmen zu dessen Schutz ergriffen. Deshalb liege ein Handeln auf eigene Gefahr vor, das einen Anspruch gegen die Beklagte ausschließe.

Die Klägerin erstrebt mit ihrer Berufung eine Abänderung des Urteils nach Maßgabe ihrer erstinstanzlichen Anträge. Die Entscheidung des Gerichts sei überraschend und widersprüchlich in der Begründung. Da die Beklagte versichert habe, dass die Stute bei früheren Deckakten weder ausgeschlagen, noch sich sonst aggressiv verhalten habe, habe sie darauf vertrauen dürfen, dass von der Stute keine Gefährdung des Hengstes ausgehe. Das Landgericht habe ihren Schadensersatzanspruch daher zu Unrecht auf null gekürzt.

Aus den Gründen des Hinweisbeschlusses (gemäß § 522 Abs. 2 ZPO):

Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

1. …

2. …

3. Es ist auch in der Sache nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine Kürzung des klägerischen Anspruchs auf Null wegen Handelns auf eigene Gefahr in entsprechender Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB angenommen hat.

Der Umstand, dass sich der Geschädigte der Gefahr selbst aussetzt, ist bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile nach § 254 BGB zu berücksichtigen. Dies kann im Ergebnis dazu führen, dass der Verursachungsbeitrag des (anderen) Tierhalters, hier der Beklagten, völlig zurücktritt. Grundlage eines solchen Haftungsausschlusses ist der Grundsatz von Treu und Glauben und das sich hieraus ergebende Verbot widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium”). Hiernach ist es nicht zulässig, dass der Geschädigte den Schädiger in Anspruch nimmt, wenn er sich bewusst in eine Situation drohender Eigengefährdung begeben hat. Bei einer derartigen Gefahrexponierung kann von einer bewussten Risikoübernahme mit der Folge eines vollständigen Haftungsausschlusses für den Schädiger ausgegangen werden (BGH NJW-RR 2006, 813).

In Rahmen der vorzunehmenden Abwägung ist vorliegend entscheidend, dass die Klägerin ihren Hengst durch gezielte Zuführung zur Stute in der konkreten Art und Weise ohne Ergreifen von Sicherungsnahmen bewusst einer erhöhten Gefahr ausgesetzt hat, durch Tritte der Stute zu Schaden zu kommen.

Es ist gerichtsbekannt, dass Stuten im Rahmen des „Vorspiels“ austreten. Das Austreten ist Bestandteil ihres Paarungsverhaltens. Sie locken den Hengst zunächst an, um ihn dann ausschlagend wieder davonzujagen. Erst wenn die Stute paarungsbereit ist, lässt sie den Hengst nah heran. Aus diesem Grunde war grundsätzlich auch im Rahmen des vorliegenden Deckaktes mit Tritten der Stute zu rechnen. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass es nicht entscheidend darauf ankommt, ob die Stute bei vorherigen Deckakten stets friedlich und nicht aggressiv war und die Beklagte der Klägerin dies versichert hatte. Da die Unberechenbarkeit eine typische Eigenart von Tieren ist und das Austreten gerade zum natürlichen Verhalten der Pferde während der Paarung gehört, durfte die Klägerin nicht darauf vertrauen, dass die Stute in der konkreten Situation nicht austreten werde.

Weil die Pferde der Parteien am Zügel bzw. am Strick gehalten wurden, konnten sie die Zwischenschritte der Kontaktaufnahme nicht wie beim freien Decken ausleben. Der Hengst der Klägerin konnte Abwehrreaktionen der Stute in Form von Austritten daher auch nicht ohne weiteres ausweichen. Hierdurch war die Gefahr für den Hengst, von Tritten der Stute während der Paarung getroffen zu werden, erhöht. Hinzu kam, dass die Stute unmittelbar nach ihrem Transport in einer ihr unbekannten Umgebung dem Hengst zugeführt wurde, was gerade bei der Stute der Beklagten, bei der es sich nach dem eigenen Vortrag der Klägerin um ein sensibles Tier handelt, eine zusätzliche Stresssituation begründet haben dürfte.

Die generelle Gefahr, dass der Hengst im Rahmen des Deckaktes verletzt werden könnte, war der Klägerin auch bewusst. Dies ergibt sich bereits aus Ziffer 11) der von ihr gestellten „Deckbedingungen“, die eine Pflicht der Eigentümer der Stuten zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung vorsehen, „z. B. für den Fall, dass die Stute den Hengst verletzt…“ (Anlage 1 zur Klagschrift, Bl. 6 d. A.).

Gleichwohl hat die Klägerin es unterlassen, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, obwohl diese in erster Linie dem Schutz ihres Hengstes gedient hätten. Dabei wären eine Verpaarung der Tiere im Probierstand und/oder eine Fesselung der Stute in Betracht gekommen. Möglich gewesen wäre auch, den Tieren eine freie Paarung auf der Koppel zu ermöglichen, was den Tieren größere Ausweichmöglichkeiten eröffnet und dadurch die Gefahr für den Hengst, durch Tritte der Stute verletzt zu werden, verringert hätte.

Auch wenn die Klägerin darauf vertraut haben mag, dass die Stute ihren Hengst nicht verletzen wird, ist sie das ihr bekannte Verletzungsrisiko sehenden Auges eingegangen. Die Verwirklichung dieses Risikos kann sie nunmehr nicht der Beklagten zur Last legen und den eingetretenen Schaden auf diese, letztlich zum Nachteil der hinter der Beklagten stehenden Versicherung, abwälzen. Die Kürzung ihres Anspruchs auf Null ist daher zu Recht erfolgt.

OLG Koblenz, Urteil vom 10.06.2013 – AZ. 3 U 1486 /12
Vorinstanzen:
LG Mainz, Urteil vom 21.11.2012 – AZ. 9 O 94/12

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